Mignon – curriculum vitae

Geisterlektüre

Lebenslauf- oder mein bisheriger Weg durchs Leben

Alles nahm vor vielen Jahren seinen Anfang. Bereits mit der Terminwahl meines ersten weltlichen Auftritts traf ich die Entscheidung der eisigen Kälte, die gewisse Zeiten mit sich führen, unbeeindruckt zu trotzen. Im doppelten Sinne wohl bemerkt, denn zum Einen war Winter und zum Anderen schallte der Berliner Appell  am 25.Januar 1982 selbst durch die verwinkeltsten Gassen  der geteilten Stadt. Demnach wurde klein Mignon in eisigen Zeiten geboren. Die Errungenschaften des technischen Fortschritts schrieben die Wahrscheinlichkeit eines atomaren Kriegs in die Vorstellungen der Zukunft ein, währenddessen die Hebamme in gewohnter Manie die Geburtsurkunde eines 59 cm großen und 6000 Gramm schweren neugeborenen Mädchens vervollständigte. Die Spalte mit dem Namen des Kindes wurde mit Mignon Krüger ausgefüllt, darunter stand der Name der erschöpften Mutter, die von den Ausmaßen des kleinen Säuglings überwältigt, über die Wunder der Natur nachdachte und von allen im Kreissaal befindlichen Helfern rühmend auf ihren 36stündigen Kampf mit dem Riesenbaby angesehen wurde, die Löwin war und ist Tamara, früher in erster Ehe mit Nachnamen noch Krüger. Nun hieß ich seit jenem Tage Mignon. Schon damals war das Paradoxon augenscheinlich, denn von zierlich und klein war ich schon immer weit entfernt. Viel interessanter ist die Tatsache, wie es zu dem Namen kam. Johann Wolfgang von Goethe ist Schuld. Ehrlich, denn mein Großvater väterlicherseits war dessen literarischen Schaffen voller Faszination verfallen. Mignon, eine Figur als Inbegriff der romantischen  Sehnsucht und äußerlich von knabenhafter Gestalt  gekennzeichnet, begegnete mir erst viele Jahre später, während meines Studiums über die Lektüre von Wilhelm Meisters Lehrjahren.  Bis dahin haben wir noch ein Paar Zeilen Zeit. Nun war ich im Osten von Berlin geboren. Die entscheidenden Kindheitseindrücke, die ich unbedingt erwähnen möchte, waren die leckeren Cola Bonbons, Milch in Plastiktüten, das faszinierende dunkelblaue, nach Kindheit riechende Schaumbad, meine Uroma mit tollen Pfeiflutschern in der Strumpfhose, die uns immer an der Friedrichstrasse, von der verbotenen Seite Berlins kommend, besuchen kam, in dem Gedanken verweilend, der Geruch von Intershop, das Pioneerhemd aus synthetischen Material,, was bei mir allergische Reaktionen auslöste; woraufhin ich es in kindlicher Selbstjustiz zerschneiden musste. Kurz darauf fand meine erste Begegnung mit den systemkonformen Handgelenkstäschchenträgern statt, die mich über meine Einstellung zur DDR ausfragten. Damit war meine politische Einstellung schon im Alter von sechs Jahren gefragt. Erkämpft habe ich mir 100 % Baumwolle, in der Präsentation meiner Zugehörigkeit zu den Jungpionieren. Was dann kam war grenzenlos gemein und nie wieder gut zu machen. Endlich bei dem Bewusstsein das blaue Halstuch in Ehre zu tragen angelangt, stürzen die Erwachsenen von heut auf morgen das gesamte System. Mauer weg, Erich Honecker weg, Konsum weg, Trabi weg, die Mark weg und das aller, aller schlimmste, für mich in dieser Umbruchszeit, das rote Halstuch auch weg. Na toll, meine Währung war gestürzt, denn Haribo und Kinderschokolade ermöglichten dir die besten Schulhofgeschäfte. Walt Disney trat in mein Leben, die grauen Fassaden der Stadt nahmen die Farbe kapitalträchtigen Aufschwungs an, alle Frauen wollten wie Madonna sein, zu mindestens in punkto Mode, die wohlgemerkt schrecklich war, und der gewöhnungsbedürftigen Frisuren, besonders klasse der seitliche Pferdeschwanz. Die Grundschule war im Jahre 1994 gerockt. In diesem Sinne ab auf das John- Lennon- Gymnasium und anständig Abitur gemacht, auch wenn die Abenteuer des Lebens des Öfteren mal dazwischen gerutscht sind.  Nur soviel, wir haben die grüne, künstlerische Inspiration von John Lennon aus experimentellen Wissensdurst natürlich erprobt, trotz der warnenden Worte Lennons: Let it be. So funktioniert nun mal das Erwachsenwerden. Immer wieder kehrende Wortwahl in Zeugnissen für meine Person: Mignon agiert oft sehr impulsiv und besitzt einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ihr Engagement im Unterricht ist sehr interessenbezogen. Stimmt, trotzdem stand ich bei der Abiturvergabe neben den Strebern vereint aus sämtlichen Fächern, im Jahr 2001, mit oben auf der Bühne, als der gute Geist der Schule . Großartig. Da war erst einmal eine wohlverdiente Pause angesagt. Mignon wurde auf Korfu Animateurin, geplant war eigentlich der Ballermann, aber etwas Niveau ist immer wichtig, daher Griechenland im vier ein halb Sternehotel. Die mit Abständen beste Erfahrung in meinem bisherigen Leben. Ich wurde trinkfest, legte meine Schüchternheit ab, und entschied mich meine ganze außerfreundschaftliche Aufmerksamkeit der Frauenwelt zu zuwenden, lernte unglaublich viel von der südländischen Lebensphilosophie, wusste schnell, dass ich niemals Psychologie studieren werde, denn als Animateur repräsentiert man ungewollt die rote Couch der Gäste, mit andern Worten ich kannte die intimsten Geheimnisse nach spätestens drei Ouzo 12, und ich wusste, dass nach dieser Erfahrung, das Studieren mein sehnlichster Wunsch geworden war, denn bei allem Spaß, den ein solcher Job garantiert, kam der Geist viel zu kurz. Also beugte ich mich dem bürokratischen Kreislauf mehrmaliger Bewerbungen an allen Berliner Universitäten, wurde eine brave Sammlerin von Wartesemestern,, bis endlich im Frühjahr 2004 auf einmal die Humboldt Universität, die Freie Universität Berlin und die Universität Potsdam ihre Zuwilligung für meinen Studienwunsch gaben. Der Grund, warum ich mich für Potsdam entschied, war intuitiver Natur. Meine Großeltern wohnten lange Zeit am Park Sancoussi, dort verbrachte ich einfach viele Tage meiner frühsten Kindheit, zusammen mit meinem Opa habe ich am See Die Bürgschaft  von Friedrich Schiller im Alter von 11 Jahren gelernt, in Potsdam lagen gewissermaßen die Wurzeln meiner Literaturbegeisterung und genau dort sollte für mich zukünftige Langzeitstudentin  das Schaffen meiner eigenen kleinen Werke ihren Anfang nehmen. Demnach begann ich im April 2004 mein Studium der Germanistik, Philosophie und der Allgemeinen Vergleichenden Literaturwissenschaften mit dem Ziel des Magister Artium. Jetzt sind wir in der Zeitrechnung im Jahre 2012 angekommen, der Abschluß ist geschafft. Mit einer Arbeit, welche die Verantwortung des Schriftstellers in einer Zeit, die mehr denn je aus den Fugen geraten ist, veranschaulicht.
Vielleicht werde ich auch noch einen Doktortitel erringen, wobei das noch in den Sternen steht.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich schon ziemlich lange studiert habe, aber der Geist, den die Geisteswissenschaften zu animieren gewillt sind, erhebt sich erst dann aus der schlafenden Gemütlichkeit, wenn seine Erhabenheit es für richtig befindet. Und als Student tat man gelegentlich auch Vieles, um an Erfahrungen nicht arm zu sterben, ist ein Schöngeist und genießt die Annehmlichkeiten des Studierens. Vollständig im Nacheifern der großen Geister verloren, arbeite ich seit Jahren fleißig als nebenberuflicher Stammgast in den verwandten Institutionen des Auerbach Kellers.  Das Arbeiten in der Gastronomie und das Studium der Literaturwissenschaften wirken  scheinbar wie ein ungleiches Paar, möglicherweise findet sich darin aber auch die beste Kombination für den unaufhaltsamen Weg zur Literaturpreisverleihung.

Vorläufiges Ende